Wie Führungskräfte mit Agilität am Ball bleiben

Was braucht es, damit aus einer Fußballmannschaft ein Weltmeister wird?

Und was hat das Ganze mit Führung zu tun?

Klack – Schrubb – Kurbel – Kurbel – Wumm – Tooor.

Unten bei uns im Keller steht ein Tischkicker. Hin und wieder spielen meine Frau und ich damit. Manchmal veranstalten wir auch ein Familientournier. Beim Tischkicker sind die Spieler an festen Stellen und Positionen angeschraubt. Da bleibt das Spielfeld schön übersichtlich…

Beim Rasenfußball ist das anders. Da toben die Spieler hin und her.

Und im Juni ist es wieder so weit: Die Fußballweltmeisterschaft wird angepfiffen. Alle Augen in Deutschland sind wieder auf Jogi Löw gerichtet. Jogi Löw ist ein Coach. Ein Coach begleitet. Jogi Löw ist auch eine Führungskraft. Eine Führungskraft leitet. Er begleitet und er leitet: Er führt.

  • Führen bedeutet, Feedback und Impulse zu geben.
  • Führen bedeutet, Orientierung zu geben.
  • Führen bedeutet, die Mannschaft als ein Team einzustimmen.

Aber während der 90 Minuten Spielzeit muss er das Team ALLEIN spielen lassen.

  • Denn Führen bedeutet auch: Spielräume und Handlungsspielräume geben.
  • Führen bedeutet nicht: Selbst spielen und sich einmischen.

Das, was beim Fußball funktioniert, wird in vielen Unternehmen nicht umgesetzt. Da ist noch Luft nach oben. Die seit 2001 jährlich erscheinende Gallup-Studie zur Arbeitnehmerbindung macht deutlich: Die emotionale Bindung der Mitarbeiter an das jeweilige Unternehmen ist niedrig. Die Werte ändern sich jährlich nur marginal. 85 % der Mitarbeiter haben keine oder nur eine geringe emotionale Bindung an das Unternehmen. Nach Gallup liegt eine der Hauptursachen bei den
Vorgesetzten.

  • Beim Führungsverhalten ist noch viel Luft nach oben.
  • Den Vorgesetzten bleibt die Luft weg.
  • Den Mitarbeitern geht die Luft aus.
  • Der Ball im Spiel verliert ebenfalls Luft.

Beim Fußball kommt es darauf an, den Ball flach zu halten und passgenau abzuspielen. Die Praxis in Unternehmen sieht hingegen anders aus. Der Vorgesetzte ist im Spiel und ruft: „Höher! Schneller! Weiter!“ Der Ball geht unweigerlich übers Ziel hinaus.

Und nun?

  • Was ersetzt denn nun die Best Practices?
  • Was ist denn nun mit strategischen Ausrichtungen?
  • Was passiert nun mit langfristigen Personalentwicklungsmaßnahmen?
  • Was geschieht nun mit der Nachhaltigkeit von Maßnahmen?

In der Arbeitswelt 4.0 funktionieren sie kaum noch. An deren Stelle treten nun Selbstorganisation und Selbstführung. Nachhaltigkeit? Fehlanzeige. Sie verliert an Bedeutung. Denn dazu ändert sich unsere Umwelt viel zu schnell.

Wie können wir am Ball bleiben und treffsicher die Zukunft gestalten?

In der Vergangenheit war es wichtig, langfristige Strategien zu verfolgen. Heute im Zeitalter der Digitalisierung heißt es: Quick Wins.

  • Quick Wins
  • schnelle Anpassungsfähigkeit
  • Agilität

Das sind die neuen Zauberwörter.

Wie geht das?

Schauen wir doch hierzu noch mal auf unseren Bundestrainer. Sein Führungsstil ist gekennzeichnet durch:

  • Schnelle Anpassungsfähigkeit und Agilität
    Die Anpassungsfähigkeit unter Stress an unvorhergesehene Situationen beeinflusst den Spielverlauf. Löw stellt sich auf die Stärken und Schwächen der eigenen und auch der gegnerischen Spieler ein.
  • Viel Mut
    Löw probiert Neues aus und gibt jungen Leuten eine Chance. Er soll einmal gesagt haben: „Ich bin, wie ich bin, auch wenn ich dann nicht der bin, den Sie vielleicht gern hätten.“
  • Vertrauen in das Team
    Das deutsche Team ist bekannt als „Die Mannschaft“. Die Mannschaft steht über allem. Wenn ein Spieler erst einmal in Löws Kader gelangt ist, wird er vom Teamgeist getragen.
  • Kommunikation auf Augenhöhe
    Anderen auf Augenhöhe zu begegnen heißt, sich selbst auf Augenhöhe zu begegnen, inklusive aller Stärken und Schwächen. Löw erkennt eigene Problemfelder und arbeitet daran.
  • Fair Play und keine Fouls
    Löw verhält sich achtsam gegenüber sich selbst und gegenüber anderen. Ehrlichkeit, Rücksichtnahme, Empathie sind für ihn wichtige Voraussetzungen.
  • Fehlertoleranz
    „Du darfst Fehler machen“, soll Löw zu seinem Confed-Kapitän Julian Draxler gesagt haben.

Rainer Strack – Senior Partner bei der Boston Consulting Group – bringt es auf den Punkt: „Löw setzt auf Dominanz und Ballbesitz. Und, was für jeden Manager wichtig ist: Löw bleibt agil und flexibel.“

So weit, so gut. Das ist die Fußballwelt.

Aber wie kann denn ein Unternehmen in der komplexen und unberechenbaren Umwelt am Ball bleiben?

Lösungsansätze können z. B. Blended Learning, Austausch in Peergroups, Mentoringprogramme oder systemische Coachings für Führungskräfte sein. Im Gegensatz zu starren Seminaren oder Trainings nach dem Gießkannenprinzip ist ein Coachingprozess durchaus wirksamer und kann individueller eingesetzt werden.

  • Coaching bedeutet, Führungskräfte dabei zu begleiten, mit den geänderten Rahmenbedingungen anders umzugehen.
  • Coaching bedeutet, Einzelpersonen und Teams darin zu unterstützen, wie sie ihre ganz individuellen Hindernisse in ihrem beruflichen und/oder privaten Umfeld zu überwinden.
  • Coaching bedeutet, dass Entscheidungsträger andere Perspektiven erhalten können, um in schwierigen Situationen anders zu agieren.
  • Coaching bedeutet, dass die unterschiedlichen Systeme, in denen sich die Akteure bewegen, von verschiedenen Seiten betrachtet werden.

Coaching kann eine Führungskraft darauf vorbereiten, schneller zu reagieren und flexible Handlungsspielräume zuzulassen.

Alternativ kann man auch weiter am Tischkicker spielen. Wie meine Frau und ich im Keller. Beim Tischkicker sind die Spieler an festen Stellen und Positionen angeschraubt. Genauso wie im Unternehmen laut Stellenplan. Flexibilität sieht anders aus.

Außerdem: Der Tischkicker steht meist unten im Keller. … Und wer möchte denn schon gerne unten bleiben?

 

von Bodo Mohr

www.bodomohr.de

Artikel erschien in Ausgabe 10

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