Den Resilienzmuskel trainieren: Wie geht das?

Stetige Arbeitsverdichtung, zunehmende Flexibilisierung, eine gewaltige tägliche Informationsflut: Viele Beschäftigte reagieren überfordert. Was jeder Einzelne tun kann, um resilienter, d. h. widerstandsfähiger, zu werden. Welche Art der Führung nötig ist, damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre innere Stärke aktivieren können.

„Resilienz“ ist ein Fachausdruck. Er bezeichnet die psychische Widerstandskraft eines Menschen, seine Fähigkeit, Konflikte, negative Erfahrungen und die vielfältigen Herausforderungen des Lebens angemessen zu meistern und gestärkt aus Krisen hervorzugehen. Interessanterweise kommt der Grundgedanke aus der Physik: Besonders elastische Materialien nehmen nach Druck und Umformung ihren ursprünglichen Zustand wieder ein. Der Begriff des Stehaufmännchens, das sich aus jeder Lage wieder aufrichtet, verkörpert ebenfalls das Resilienz-Ideal.

Sieben Resilienzfaktoren

Forscherinnen und Forscher ermittelten sieben Schlüsselfaktoren, die besonders resiliente Personen auszeichnen:

  • Sie akzeptieren unabänderliche Gegebenheiten.
  • Sie schauen mit Optimismus in die Zukunft.
  • Sie erleben sich als selbstwirksam.
  • Sie übernehmen Verantwortung für ihre Lebensgestaltung.
  • Sie setzen sich Ziele.
  • Sie fokussieren sich auf Lösungen.
  • Sie verfügen über ein tragfähiges soziales Netzwerk.

Ist Resilienz trainierbar?

Führungskräfte erleben in der Regel einige ihrer Beschäftigten als resiliente Gemüter: Stets gut gelaunt wirft sie so schnell nichts aus der Bahn. Andere Teammitglieder dagegen schalten bei der kleinsten Veränderung in den Panikmodus. Ist Resilienz vielleicht einfach Typsache? Wissenschaftliche Studien sowie meine eigenen Feldforschungen zeigen: Resilienz ist eine Veranlagung, die jeder Mensch besitzt, die jedoch unterschiedlich ausgeprägt ist. Wir können sie tranieren wie einen Muskel.

Langzeitstudie von Emmy Werner

Die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner begleitete über 40 Jahre lang die Einwicklung von ca. 700 Menschen, die im Jahr 1955 auf der Hawai-Insel Kauai geboren wurden. Die einen erlebten eine behütete Kindheit in einem liebevollen Umfeld. Andere wuchsen unter ungünstigen und schwierigsten Bedingungen auf. Trotzdem führte ein Drittel der Risikokinder ein erfülltes und glückliches Leben. Wie gelang ihnen das? Emmy Warners Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen ihre innere Widerstandsfähgkeit, ihre Gelassenheit, ihre Souveränität und ihre Selbstbewusstsein kraftvoll fördern können, indem sie auf drei verschiedenen Ebenen gleichzeitig ansetzen:

  • bei der Beziehung zu sich selbst,
  • dem Kontakt zu anderen Menschen und
  • der aktiven Gestaltung ihrer Umwelt.

Entscheidung für einen Lernprozess

Resilienztraining setzt immer eine Entscheidung voraus: die, sich selbst besser kennenlernen zu wollen. Dadurch steigern wir die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Ich erlebe, dass Menschen, die sich auf diesen Lernprozess einlassen und ihn berharrlich verfolgen, große Entwicklungsschritte machen.

Resilienzorientierte Führung

Menschen können jedoch Herausforderungen vor allem dann resilient meistern, wenn ihr Umfeld sie dabei unterstützt. Der Bewältigungsprozess geschieht immer im Zusammenspiel von Individuum und sozialem Umfeld. Ein resilienzfördernder Führungsstil spielt daher eine zentrale Rolle, wenn es gelingen soll, Beschäftigte zu befähigen, gelassener auf berufliche Herausforderungen zu reagieren.

Zuerst für sich selbst sorgen 

Damit Führungskräfte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei unterstützen können, ihre Resilienz zu aktivieren, müssen sie zuerst gut für sich selbst sorgen. Fürsorge für die eigene Person bildet das Fundament, um zuverlässig Verantwortung für andere übernehmen zu können. Die innere Haltung der Führungskraft entscheidet maßgeblich darüber, ob Mitarbeitende eine schwierige Entwicklung als Bedrohung ansehen, die sie überfordert, oder als eine Herausforderung, die sie anspornt.

Blickwinkel neu einstellen

Folgende Leitsätze können Führungskräften helfen, Herausforderungen durch die Resilienzbrille wahrzunehmen:

  • Schwierigkeiten, Probleme und Hindernisse gehören zur Arbeit und zum Leben. Ich bereite mich so gut wie möglich darauf vor.
  • Ich bin mir meiner Stärken bewusst und schätze meine Ressourcen realistisch ein.
  • Herausforderungen und Probleme gehe ich strukturiert und lösungsorientiert an.
  • Ich unterscheide zwischen meiner subjektiven Wahrnehmung und der objektiven Situation.
  • Ich sehe Fehler als Lernchancen und kann mit Unsicherheiten leben.
  • Wenn ich an meine Grenzen stoße, hole ich mir Unterstützung
    • z. B. durch ein Coaching. So zeige ich Stärke und werde wieder handlungsfähig.
  • In Herausforderungen erkenne ich die Chance für Weiterentwicklung.

Methoden nutzen

Um die einzelnen Aspekte trainieren zu können, gebe ich Führungskräften praxiserprobte Methoden an die Hand. Vor einiger Zeit schrieb mir ein Seminarteilnehmer: „Ich konnte einige Ihrer Impulse und Methoden gleich umsetzen, wie z. B. das Arbeiten mit dem Influence-Radar. Immer häufiger überlege ich jetzt (…): Was kann ich beeinflussen? Was teilweise? Was nicht? Dies hilft mir sehr im intelligenten Umgang mit meinen Ressourcen.“

Der resilienzorientierte Führungsstil

Vorgesetzte haben mit ihrem Führungsverhalten einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit und Arbeitszufriedenheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zum Zusammenhang zwischen Führung, Gesundheit und Resilienz wies nach, dass Führung vor allem dann erfolgreich und resilienzförderlich ist, wenn sie die psychologischen Grundbedürfnisse der Menschen berücksichtigt. Folgende Prinzipien resilienter Führung beziehen sich auf diese Grundbedürfnisse und bilden meiner Erfahrung nach eine essenzielle Grundlage für nachhaltigen Führungserfolg:

Zugehörigkeit und Verbundenheit

  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Menschen wertschätzen, ihnen ehrliches Interesse entgegenbringen und ihnen zuhören
  • Beschäftigte ihren Stärken und Fähigkeiten gemäß einsetzen
  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse integrieren
  • unterschiedliche Charaktere wertschätzen und ihre Kooperation im Team fördern

Wachstum und Entwicklung

  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bezug auf ihre berufliche und persönliche Weiterentwicklung fordern und fördern
  • regelmäßig konstruktives, entwicklungsförderndes Feedback geben
  • statt einer Fehlerkultur eine Lernkultur etablieren

Selbstwert und Status

  • freundliche Umgangsformen vereinbaren
  • organisatorische Rahmenbedingungen transparent machen
  • Aufgaben frühzeitig planen und Erwartungen klar kommunizieren
  • Wertschätzung für den Beitrag jedes einzelnen Beschäftigten vermitteln

Orientierung und Kontrolle

  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alle relevanten Informationen zugänglich machen
  • transparent und gerecht mit Informationen umgehen
  • Entscheidungen berechenbar, zeitnah und nachvollziehbar treffen

Autonomie und Selbstwirksamkeit

  • an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter größere Verantwortungsbereiche delegieren
  • Delegation als Entwicklungsmöglichkeit für die Beschäftigten verstehen
  • eigenständige Problemstrukturierung und -lösung von Beschäftigten einfordern und fördern

Fairness und Angemessenheit

  • auf leistungsgerechte, nachvollziehbare und faire Entlohnung und Förderung achten
  • Personalentscheidungen so transparent, nachvollziehbar und offen wie möglich kommunizieren und dazu den Austausch suchen
  • adäquat und kompetent mit aufkommenden Emotionen umgehen

Inkongruenz der Grundbedürfnisse

In der Praxis wird es jedoch kaum gelingen, allen Grundbedürfnissen gleichzeitig gerecht zu werden – zumal sie teilweise gegenläufig sind. So könnten Maßnahmen, die die Autonomie eines Mitarbeiters stärken, das Gefühl der Verbundenheit im Team schwächen. Offene, empathische und vertrauensvolle Kommunikation ist für die Führungskraft die wohl effektivste Art, mit Ungleichgewichten umzugehen.

Fazit

Im Sinne resilienter Führung besteht die Aufgabe von Vorgesetzten zum einen darin, Personen, Teams, Abteilungen und Organisationen den menschlichen Grundbedürfnissen entsprechend zu führen. Diese Führungsverantwortung besitzen Vorgesetze jedoch auch gegenüber sich selbst und ihrer eigenen Emotionalität. Die Führungskraft spielt in dem hier vorgestellten Modell daher als Persönlichkeit eine zentrale Rolle. Sie ist ein Vorbild, das durch seine Integrität und Authentizität seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inspiriert und fördert. Führungskräfte, die auf diese Weise in der Lage sind, sich selbst und die Menschen in ihrer Umgebung in Zeiten der Unsicherheit und des Wandels geistig agil, emotional belastbar und körperlich gesund zu erhalten, handeln gleichzeitig ökonomisch und steigern die Marktchancen ihrer Organisation.

Resiliente Führung zu verwirklichen ist ein Lernprozess.

von Ingrid Walter-Kühfuss

www.wk-organisationsberatung.de

Artikel erschien in Ausgabe 10

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